Vom Übersetzen. Deutsche Autoren in Italien

von Ervino Pocar

vom ubersetzenDiese Studie will das oft behandelte Thema des Übersetzens aus fremden Sprachen einer kurzen Betrachtung unterziehen.

Es geht um den Begriff des Übersetzens, der nicht so leicht zu umgrenzen ist, wie man meinen könnte.

Was heisst eigentlich übersetzen?

Übersetzen heißt doch eigentlich soviel wie übersetzen, hinübertragen, das, was auf einem Ufer liegt, auf das andere schaffen, transducere, etwas aus einer fremden Sprache in die eigene herübertragen.

Es ist auch die Frage aufgeworfen worden, ob eine Übersetzung überhaupt möglich ist. Die Frage ist gewiss berechtigt: es wird nämlich manchmal nicht nur schwer, sondern geradezu unmöglich sein, zu einem fremden Wort oder einer fremden Redeweise das sprachlich Gleichbedeutende in der eigenen Sprache zu finden. Es gibt bekanntlich Begriffe und Ausdrucksformen, die der Denkweise eines Volkes entspringen und bei einem andersdenkenden, verschieden entwickelten Volke gar nicht vorkommen.

Dies war auch die Meinung Goethes, der schrieb: »Unübersetzbar sind die Eigenheiten jeder Sprache, denn vom höchsten bis zum tiefsten Wort bezieht sich alles auf Eigentümlichkeiten der Nation, es sei nun in Charakter, Gesinnungen oder Zuständen.«

Alle kennen wohl die Schulbeispiele Stimmung und Gemüt, die sich im Italienischen nur annähernd oder überhaupt nicht wiedergeben lassen. Die vorgeschlagenen umore, disposizione di spirito, bezw. animo, sentimento und dgl. sind noch lange nicht annehmbare Übersetzungen. Der Übersetzer wird sich jeweils dadurch helfen, dass er den Begriff irgendwie umschreibt.

Aber auch bei greifbaren Gegenständen wird man oft großen Schwierigkeiten begegnen. Wie soll man Heide, Heideland übersetzen? Es gibt ja keine Heiden in der italienischen Landschaft! Ich kann wohl meinen Lesern von pianura incolta, landa, scopata, brughiera sprechen, wenn sie aber kein deutsches Heideland gesehen haben, werden sie mich nicht verstehen; das goethesche »Röslein auf der Heiden« wird für sie immer ein Geheimnis bleiben.

Ebenso entspricht dem deutschen »Weide« das italienische pascolo ganz genau, aber eine Weide auf dem Apennin oder in der römischen Campagna ist von einer deutschen Alpenweide recht verschieden.

Dagegen sind Farbe und colore, Lippe und labbro, blass und pallido völlig gleichwertige Begriffe, bei denen ein Missverständnis ausgeschlossen sein dürfte.

Aber abgesehen von diesen Wortgleichsetzungen, handelt es sich doch immer darum, einen zusammenhängenden Text wiederzugeben, worin Gedanken und Bilder ausgedrückt sind. Hier muss der Übersetzer danach trachten, sich in den Schriftsteller, den er vor sich hat, hineinzuleben, er soll nicht nur seine Worte verstehen, sondern seinen Geist durchdringen, und nicht so sehr den Wortlaut als vielmehr den Sinn des Textes ermitteln und ausdrücken.

Die fremde Sprache verstehen und die eigene gut kennen

Beim Übersetzen sind zweierlei Bedingungen vor allem zu erfüllen: man muss die fremde Sprache verstehen und die eigene gut kennen. Die zweite Bedingung ist ungleich wichtiger als die erste. (Es geht hier natürlich um literarische Kunstwerke, nicht um die im Alltag notwendigen Übersetzungen der kaufmännischen, journali¬stischen oder sonstigen Praxis).

„Die eigene Sprache kennen“ heißt in diesem Falle Schriftsteller sein. Die Tätigkeit des Übersetzers besteht doch darin, Bücher zu schreiben, zwar nicht eigene, sondern fremde: aber auch bei dieser Arbeit, beim Nachfühlen und Nachdenken des ihm vorliegenden Textes ist der Übersetzer schöpferisch.

Er soll nicht Wort an Wort, in Reih’ und Glied aufstellen, wie ihm der Text gebietet, er muss ihn verstehen und deuten; und daher stellt jede gute Übersetzung einen Kommentar zum Originaltext dar. Es kommen Fälle vor, wo der Text unklar und schwer verständlich ist: die Übersetzung darf aber nicht undeutlich sein, und deshalb soll der Übersetzer sich der Mühe unterziehen, das Unklare richtig zu interpretieren und klar auszudrücken.

Beispiele schlecht gelungener Übersetzungen aus Unkenntnis der fremden Sprache

Wie unerfahrene, wenig gewissenhafte, stümperhafte Übersetzer vorgehen, davon möchte ich aus meiner Lektorpraxis ein paar Beispiele anführen. Da war einmal von Brillen die Rede »die ihnen immer auf rätselhafte Art abhanden kamen«: die Übersetzerin schrieb occhiali che non si sa donde venissero nelle loro mani, was genau das Gegenteil von dem ist, was der Autor sagt. Oder: »das Volk kämpfte auf eigene Faust«: il popolo inerme lottava coi pugni! Folgendes kann man sogar gedruckt lesen: »Er sprach über die zweiundvierziger Maitage«: parló dei 42 giorni di quella primavera. Wie man so gedankenlos sein kann, ist wirklich unerfindlich. Die Maitage des Jahres ’42 verwandeln sich in die 42 Tage jenes Frühlings, als ob ein Frühling 42 Tage hätte! »Gesegnete Mahlzeit!« sagte sie«, Benedetto pranzo, disse. »Vermodert« wird mit »ermordet« verwechselt und mit assassinato [übersetzt], »Backfisch« mit stoccafisso übersetzt. »Sie hatte den Sohn ihrer Brotgeberin geheiratet«: aveva sposato il figlio della fornaia, der Bäckerin! Na ja, eine Bäckerin kann auch Brotgeberin sein…

Freilich findet man auch bei guten Übersetzern kleine Schnitzer und Versehen. So übersetzte einmal ein bekannter Schriftsteller die Nordsee von Heine. Da stehen die »nachwachsenden Enkelgeschlechter«, die mit le venienti progenie degli angeli wiedergegeben wurden. Der Übersetzer, der sicher gut deutsch konnte, hatte einfach »Engelgeschlechter« gelesen statt »Enkelgeschlechter«! Allgemein bekannt ist in dieser Beziehung das Beispiel Goethes selbst, der in der Übertragung der Ode Der fünfte Mai von Manzoni in eine ähnliche Falle gestolpert ist: i percossi valli verwandeln sich in »die durchwimmelten Täler«, wobei Goethe i valli mit le valli verwechselt hat: ein Versehen, das den Wert der grossartigen Übertragung nicht im Geringsten schmälert. Es sind diese Fälle von Unachtsamkeit, bei denen man ein Auge zudrücken kann.

Inneres Erlebnis des zu übersetzenden Werkes

Wie oben behauptet worden ist, soll der Übersetzer die fremde Sprache gut beherrschen. Das genügt aber nicht; das zu übersetzende Werk muss zum inneren Erlebnis des Interpreten werden, der zugleich die Fähigkeit besitzen muss, das Erlebnis dergestalt in Worte zu kleiden, dass der Leser meinen kann, er habe ein Original vor sich. Das wird aber nie durch eine wörtliche Übersetzung erreicht.

Ich habe unlängst in einer Zeitschrift die Nachricht gelesen, dass man in Amerika eine automatische Übersetz-Maschine erfunden hat, womit man einen englischen Text gleich in drei Fremdsprachen übertragen kann. Was ist nicht alles im Zeitalter der Atombombe möglich? Die Maschine mag auch existieren. Ich bezweifle aber, dass sie jemals ein Gedicht von Whitman oder einen Roman von James ins Deutsche oder Französische übersetzen könnte. Der Maschine wird immer eine unersetzliche Kleinigkeit fehlen: die Seele.

Die Sprache ist auch Musik und Melodie

Ja, der Maschine wird nicht nur die Seele fehlen, sondern auch das Ohr. Die Sprache ist auch Musik und Melodie. Der Übersetzer muss eine gewisse musikalische Veranlagung besitzen, um aus den Worten die Musik herauszuhören. Sicher, es soll nicht leere Musik, nicht Nur-Musik sein. Odio il verso che suona e che non crea, hat ein grosser Dichter ausgerufen: Ich hasse den Vers, der klingt und nicht erschafft. Man braucht nicht mit dem Ausspruch Verlaine’s einig zu gehen, der vor allem Musik verlangt; dass sich aber Poesie und Musik innig berühren, ist doch eine unumstößliche Tatsache.

Wir wollen das an einem Beispiel erläutern. Wenn Platen Das Grab im Busento mit den Worten beginnt: »Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder, / aus den Wassern schallt es Antwort und in Wirbeln klingt es wieder«, so hören wir vor allem das Lispeln heraus, den Flüsterton der Gesänge, der auch durch die vielen i charakterisiert wird. Carducci übersetzt, oder dichtet vielmehr um: Cupi a notte canti suonano / Da Cosenza sul Busento, / Cupo il fiume li rimormora / Dal suo gorgo sonnolento. Das Flüstern ist hier verloren gegangen. Eine Musik ist aber durch eine andere ersetzt worden. Der Dichter verweilt auf dem tönenden u: cupi a notte, cupo il fiume… dem im Original nur das Adjektiv »dumpfe« entspricht. Im weiteren Verlauf sind sich dann beide Dichter einig in der U-Stimmung. Platen: »Und den Fluss hinauf hinunter…«. Carducci: su e giù pel fiume passano… usw. Das ist sicher Musik des Verses, die in der Übertragung bewusst nachgeahmt wird. Aber eine solche Nachahmung ist nur selten möglich. Kein noch so musikalisches Ohr wird den Vers Rilkes aus der 7. Duineser Elegie klangähnlich ins Italienische Übersetzen: »deinem erkühnten Gefühl die erglühte Gefühlin«. Es gibt ja keinen ü-Laut im Schrift-Italienischen.

Übersetzen ist vorwiegend eine Frage der »Nachahmung« und »Nachdichtung«

Die Kenntnis der Sprache, das Erlebnis der fremden Dichtung, die Fähigkeit, dieselbe als ein Eigenes sinngetreu und klanggemäss auszudrücken, alle diese Voraussetzungen gehen miteinander Hand in Hand. Da man ihnen allen Genüge tun muss, mögen diejenigen recht haben, die die Unmöglichkeit des Ubersetzens behaupten. Möglich und erstrebenswert ist eigentlich nur die Nachahmung, die Nachdichtung, die vom Original angeregt, ein selbst erlebtes und empfundenes, neu hervorgebrachtes Werk darstellt.

Daher wird man wohl immer in die eigene Sprache übersetzen; es kommt sehr selten vor, dass ein zweisprachiger Autor aus der eigenen in eine fremde Sprache übersetzt. Es dürfte wahrscheinlich leichter sein, in der Fremdsprache direkt zu dichten, wie denn tatsächlich Rilke und D’Annunzio auch französisch gedichtet haben.

Gefährliche Klippen beim Übersetzen ins Italienische

Da wir gerade von Sprachmusik sprechen, wird auch die Bemerkung angebracht sein, dass die italienische Sprache (ich muss hier sagen: leider) sehr reich an Reimen ist, die wir in der Prosa nicht er¬tragen können, ebenso wie uns die nahe Wiederholung eines Wortes lästig fällt. In der deutschen Prosa empfindet man das nicht so sehr: Reime und Wiederholungen werden leichter hingenommen.

Eine der größten Schwierigkeiten, die der Übersetzer bezüglich des Wohllautes überwinden muss, stellen die deutschen Adverbien dar. Dem Deutschen ist ein großes Glück zugefallen, dass nämlich das Adverb mit dem Adjektiv gleichlautend ist, während im Italienischen das vom Adjektiv abgeleitete Adverb immer die Endung -mente annimmt. Ein Beispiel: „edel“, „bescheiden“, „vernünftig” reimen nicht untereinander. Die entsprechenden italienischen Adjektive reimen auch nicht: nobile, modesto, ragionevole. Gut.

Wenn sie aber zu Adverbien werden, so bleiben sie im Deutschen unverändert: er benimmt sich „edel“; er lebt „bescheiden“; er handelt “vernünftig”. Im Italienischen dagegen lauten sie: nobilmente, modestamente, ragionevolmente. Nehmen wir an, es kämen bei der Übersetzung einer Seite 10 Adverbien vor, dazu einige Partizipien auf -ente, etwa dolente, lucente, negligente, ein paar Substantive wie docente, torrente, occidente, eventuell auch manche fast reimende Substantive auf -ento, Mehrzahl -enti, wie unguento, argomento, strumenti, godimenti, und da kann man sich eine Idee bilden, wie so eine Seite aussehen wird, wie langweilig, wie unausstehlich sie klingen wird!

Eine andere Schwierigkeit entsteht daraus, dass im Deutschen lateinische Wörter neben den deutschen geläufig sind, sodass die Ausdrucksmöglichkeit verdoppelt wird: Intervall steht neben Zwischenraum, Grazie neben Anmut, Monument neben Denkmal, wofür ich nur über intervallo, grazia, monumento verfüge. Wenn vollends in vier Zeilen nacheinander die Vokabeln „Menschheit“, „Menschlichkeit“, „Menschentum“, „Humanität“ vorkommen, denen allen nur umanità gegenübersteht, dann ist der arme Übersetzer wohl nicht zu beneiden!

Es würde zu weit führen, alle Schwierigkeiten und Fallen und Gruben aufzuzählen, in die der Übersetzer geraten kann. Wenn er gewissenhaft ist, wird er schon Schliche finden, um die Schwierigkeit zu umgehen und sich da, sei es auch mühevoll, herauszuhelfen.

Weiter kann sich der Übersetzer ausschließlich einem Dichter widmen, dem er sich besonders geistesverwandt fühlt, oder auch mehrere Autoren übersetzen. In diesem Falle sollen nicht nur zwei Seelen in seiner Brust wohnen, sondern soviel Seelen als da Dichter sind, die er übersetzen will. Einem jeden muss er gerecht werden und, soweit als möglich, dessen sprachliche, stilistische, melodische Eigenheiten berücksichtigen und wahren.

Rilkes Definition des Übersetzens

Rilke sagte einmal, dass das Übersetzen der Kunst des Schauspielers verwandt ist und gab die treffliche Definition: »Übersetzen ist Alchimie, Goldmacherei aus fremden Elementen«. Übersetzen ist daher kein Leichtes. Schauspieler, die tatsächlich Worte und Charaktere des Theaterdichters neu schaffen, gibt es wenige; Alchimisten, die Gold machen können, noch weniger. Es heißt mit Liebe und Ausdauer an die Arbeit gehen: dann kann man auch Gold machen.

Geschichtliche Überblick des Übersetzens

Übersetzungen hat es immer gegeben. Sobald die Ursprache sich in zwei Sprachen spaltet, die von verschiedenen Völkern gesprochen werden, stellt sich die Notwendigkeit des Dolmetschers ein, der beide Sprachen kennt und zwischen den beiden Völkern die Rolle des Mittlers spielt. Wenn wir jedoch von diesen praktischen Notwendigkeiten des täglichen Lebens absehen, gilt wohl das erste große Unternehmen auf dem Gebiete der Übersetzung dem Buch der Bücher, der Bibel.

Es ist dies die sogenannte Septuaginta, die älteste aus dem hebräischen Urtext ins Griechische übertragene Fassung des Alten Testaments, die vom ägyptischen König Ptolemäus Philadelphus in Alexandrien veranlasst und von 70 (wahrscheinlich waren es weniger als 70) jüdischen Gelehrten im 3. vorchristlichen Jahrhundert begonnen wurde. Die Übersetzung entspricht im allgemeinen nicht den Anforderungen, die man heute an einen guten Übersetzer stellen würde; bei den damaligen zur Verfügung stehenden Mitteln müssen wir jedoch den Mut bewundern, womit die Arbeit in Angriff genommen wurde, und den Vorläufern aller Bibelübersetzungen recht dankbar sein.

Dieser Übertragung folgten in den nächsten Jahrhunderten zahlreiche andere, die syrische, die koptische, die äthiopische, die arabische und die für Deutschland so wichtige gotische des Bischofs Ulfilas, der im 4. Jahrhundert nach Christus wirkte.

Ulfilas, der Bekenner germanischer Stämme, leistete eine Arbeit, die von ungeheurer Tragweite geworden ist. Im Jahre 341 zum Bischof der Goten geweiht, im Besitze dreier Sprachen – gotisch, griechisch und lateinisch – vollbrachte er die Übertragung der ganzen Bibel (außer den Büchern der Könige, die er weggelassen haben soll, um der Kriegslust seiner Landsleute keinen Vorschub zu leisten).

Nach mehreren lateinischen Übersetzungen aus dem Griechischen griff der Hl. Hieronymus wieder auf den hebräischen Text zurück. Seine Übertragung, die wohl nicht fehlerlos, aber gewiss bewunderungswürdig ist, trägt seit Erasmus von Rotterdam den Namen Vulgata.

Mit Ulfilas lässt sich nur Martin Luther vergleichen, der zwölf Jahrhunderte nach ihm an eine ähnliche übermenschliche Arbeit heranging. Die Übersetzung der Hl. Schrift war nicht nur eine grosse Tat auf religiösen Gebiete: sie war auch das größte literarische Ereignis des 16. Jahrhunderts, sie legte den Grund zu der modernen deutschen Literatur, sie schuf die geistige Einheit der Nation. Wie Luther dabei zu Werke ging, geht aus seinen eigenen Bekenntnissen hervor. Im Sendschreiben Vom Dolmetschen sagt er: »Man muss nicht den Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch reden, sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen, und denselben auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; so verstehen sie es und merken, dass man deutsch mit ihnen redet«.

Es folgt das berühmte Beispiel, wie man das lateinische ex abundantia cordis os loquitur übertragen soll. Wer wird da übersetzen: „aus dem Überfluss des Herzens redet der Mund“? »Was ist Überfluss des Herzens für ein Deutsch?« ruft Luther entrüstet aus. »Nein, die Mutter im Hause, und der gemeine Mann sagen: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Das heißt gut deutsch geredt.« Deswegen horcht Luther hin, wie das Volk spricht, und übernimmt seine Redeweise. Seine Arbeit ist nicht leicht: dessen ist er sich wohl bewusst. »Das Dolmetschen, schreibt er, ist nicht eines jeglichen Kunst: es gehört dazu ein recht fromm, treu, fleißig, furchtsam, christlich, gelehrt, erfahren, geübt Herz.«

Der Übersetzer muss also, nach Luther, fleißig sein und keine Mühe scheuen, dem Texte treu und ehrfürchtig, d.h. demütig gegenüberstehen, die nötige Gelehrsamkeit, Erfahrung und Übung sein eigen nennen. Es sind dies Vorschriften, die wir ohne weiteres akzeptieren können.

Überdies soll der Übersetzer mit Liebe an seine Arbeit gehen, er soll die fremde Sprache gut beherrschen und die eigene lieb haben und bewundern. »Ich weiß nicht, sagt er, ob man das Wort Liebe auch so herzlich und gnugsam in lateinischer oder anderen Sprechen reden möge, dass es also dringe und klinge in das Herz durch alle Sinne, wie es tut in unserer Sprache.« Es ist möglich, dass das deutsche Wort Liebe schöner klingt, als amore oder amour; sicher ist aber, dass die liebevolle Hingabe an die eigene Sprache die beste Voraussetzung dafür ist, dass eine Übertragung gut gelingt.

Nach Luthers Bibel machte die Kunst der Übersetzung neue ge¬waltige Fortschritte im Zeitalter der Romantik. Wir brauchen nur Namen wie Herder und Wieland, Simrock und Wilhelm Grimm, ja Goethe selbst zu nennen. Vor allem aber sind Tieck und Wilhelm Schlegel mit ihrer Shakespeare-Verdeutschung zu erwähnen.

»Schlegels Shakespeare – ich zitiere Wilhelm Scherer – stellte sich mit dem ganzen Abstand der nachschaffenden von der schaffenden Kunst, aber mit der ganzen Nähe des Vollkommenen zum Vollkommenen, unmittelbar neben die Werke, mit denen uns Schiller und Goethe in der Zeit ihres gemeinsamen Wirkens beschenkten.« Shakespeare wurde, wie man gesagt hat, ein deutscher Dichter, ebenso wie durch Johann Hein¬rich Voss die epischen Gedichte Homers in die deutsche Literatur eingeführt wurden.

Das Übersetzen italienischer Werke in Deutschland

Schon früher hatte man Werke italienischer Dichter in den deutschen Kunsthimmel erhoben. Im ausgehenden Mittelalter fanden z.B. Boccaccios Decamerone und eine Erzählung des Papstes Eneo Silvio Piccolomini ihre Übersetzer. Dass man im Zeitalter der Renaissance lateinische und griechische Poesie und Prosa fleißig ins Deutsche übersetzte, ist allgemein bekannt. Dichter wie Ovid und Virgil, Plautus und Terenz, Schriftsteller wie Cicero und Vitruv, Livius und Plutarch wurden durch die Verbreitung des Humanismus auch in Deutschland eingeführt.

Der Romantik aber war es vorbehalten, auf die Stimmen anderer Völker, darunter auch der Italiener, zu horchen. Da ist Johann Dietrich Gries aus Hamburg, der im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts im Sinne Schlegels und Tiecks mit anerkannter Meisterschaft Das befreite Jerusalem von Torquato Tasso und den Rasenden Roland von Ludovico Ariosto übersetzte; nicht weniger geschickt war er bei den Übersetzungen von zwei minder bedeutenden Heldenepen, dem Orlando innamorato von Boiardo und dem Ricciardetto von Forteguerri. Tassos Jerusalem und Ariostos Roland waren schon in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts von Wilhelm Heinse übertragen worden. Kannegiesser versuchte sich zuerst an der Übersetzung von Dantes Göttlicher Komödie, welche auch von Karl Streckfuss und von Philalethes, dem Könige Johann von Sachsen, übersetzt wurde; Forster verdeutschte Petrarcas sämtliche Gedichte im Originalversmass, Strekfuss gab einen neuen Rasenden Roland und ein Befreites Jerusalem, Soltau die erste gute Übersetzung des Decamerons, Goethe die Memoiren des Benvenuto Cellini.

Die Übersetzer werden dann immer zahlreicher. Es gibt wohl kaum eine Literatur der Welt, die nicht durch Übersetzungen zum Eigen¬tum des deutschen Volkes geworden wäre. Goedecke zählt im 19. Jahr¬hundert über 700 deutsche Übersetzer, was auf einen unglaublichen Reichtum des deutschen Schrifttums in diesem Zeitraum schließen lässt.

Wie kommt es, dass Übersetzungen aus dem Italienischen ins Deutsche

bedeutend früher vorgenommen worden sind als Übersetzungen aus dem

Deutschen ins Italienische?

Wenn wir nun umgekehrt einen Blick auf die in Italien entstandenen Übersetzungen deutscher Autoren werfen, werden wir sehen, dass man damit ziemlich spät, in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, begonnen hat. Manches wurde aus dem Englischen und Französischen übertragen: Melchior Cesarotti, Antonio Conti, Rolli und Gozzi übersetzten Milton, Ossian und Gray, Racine und Voltaire. Die schon im 17. Jahrhundert angebahnten Beziehungen zwischen der italienischen und der deutschen Literatur reiften aber erst hundert Jahre später.

Verschieden sind die Gründe, die dafür von den Zeitgenossen angeführt wurden. Algarotti und Alfieri fanden den Klang der deutschen Sprache abstoßend und widerlich, während Denina das größte Hindernis für die Verbreitung der deutschen Schriftwerke in der so schwer zugänglichen gotischen Schrift erblickte. Die damaligen Schriftsteller nähren überhaupt keine Sympathie für deutsches Leben und Wesen. Absprechend äußern sich der genannte Graf Algarotti, Pietro Verri und Saverio Bettinelli. Apostolo Zeno, der in Wien Hofdichter war, schrieb sogar: »Gott hat es gewollt, dass ich hierher käme, um meine Sünden abzubüssen!«

Richtig ist jedenfalls, dass zu jener Zeit Italien mehr gegeben als empfangen hat. Kein Wunder! Wenn man die italienische Literatur mit der deutschen vergleicht, so sieht man, dass Dante, der erhabenste Dichter Italiens, am Anfang der Entwicklung steht, während Goethe, der größte Dichter Deutschlands, erst nach einer etliche Jahrhunderte umfassenden Evolution erscheint. Allerdings, Dante stellt auch einen Abschluss dar, nämlich die Zusammenfassung der ganzen religiösen, politischen, philosophischen Kultur des Mittelalters. Von großartiger Tragweite wurde aber seine Leistung auf sprachlichem Gebiete, sodass er füglich als der Schöpfer der italienischen Sprache angesprochen werden darf. Nach ihm hat das Italienische in sieben Jahrhunderten so wenig Wandlungen erfahren, dass man heute noch die Sprache Dantes fast durchwegs versteht. Die gleiche Vollkommenheit erfuhr dagegen die deutsche Sprache erst durch die Dichter- und Sprachgenialität der Klassiker, also in relativ später Zeit. Ein mit der Göttlichen Komödie gleichaltriger mittelhochdeutscher Text, etwa Hugo von Trimbergs Renner, ist für den heutigen Leser nur schwer verständlich.

Der erste Übersetzer aus dem Deutschen: Aurelio de’ Giorgi Bertola

So erklären wir uns das späte Auftauchen der Übersetzungen aus dem Deutschen. Der erste, der sich nicht nur als Übersetzer, sondern auch als Kritiker auf dem Gebiete der deutschen Literatur betätigte, ist der Dichter Aurelio de’ Giorgi Bertola aus Rimini, welcher in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts als 30jähriger Mann nach Wien kam, dann die Schweiz durchreiste, in Zürich Gessner besuchte, als romantischer Tourist den Rhein entlang zog und über diese Reise in den Rheinischen Briefen 1795 Bericht erstattete. Elf Jahre vorher, 1784, hatte er in Lucca seine Idea della bella letteratura alemanna herausgegeben. Das Buch ist ein einziger Lobgesang auf die deutsche Dichtung, über die sich Bertola so ziemlich unterrichtet zeigt. Sein Urteil jedoch über einzelne Dichter und Werke, besonders über die zeitgenössischen, ist absolut unzureichend und kritisch oft unhaltbar. Das beeinträchtigt aber keineswegs sein Verdienst um die Verbreitung der deutschen Literatur in Italien. »Man war bei uns im Zweifel, schreibt er, ob die Deutschen überhaupt Phantasie besessen. Wir glaubten, das Land sei nur reich an unermüdlichen und gelehrten Geistern; wir studierten ihre Juristen, Kritiker und Diplomaten, dachten aber, dass ihre Denkungsart den Musen abhold sei. Es waren dies falsche Gedanken, die wir uns bildeten, wie etwa ein Blinder sich eine Vorstellung der Rose bilden könnte, indem er nur die Dornen anfasst.« Daher scheint es Bertola angezeigt, eine kurze Geschichte der deutschen Literatur zu schreiben, von den Minnesängern bis zu den frühen Werken von Lessing und Wieland. Im Anfang übersetzt er eine Reihe von Gedichten, die mit Ewald von Kleist beginnt und unter anderem Lieder und Oden von Hagedorn, Gleim, Stolberg, Haller, Klopstock, Gellert enthält. Auch ein Gedicht von Goethe findet sich darin, das Gedicht vom Veilchen, das, auf der Wiese stand:

Chiusa in se stessa e incognita

stavasi violetta al prato in sen;

ma quanto eri mai bella!

Quand’ecco sorridente pastorella

cantando e a lenti passi al prato vien.

Oh, viola foss’io!

Dies Wenige dürfte genügen, um zu zeigen, dass der gute Abt Bertola, mit seinen arkadischen Wendungen, den Text willkürlich behandelt. Bei Goethe wird die Fiktion des Veilchens durch das ganze Gedicht folgerichtig aufrechterhalten. Bertola fällt ganz unzeitig heraus, indem er das Veilchen „wie schön warst du!“ anredet: quanto eri mai bella!, während Goethe objektiv bleibt: »Es war ein herzig’s Veilchen«, und indem er auf einmal ausruft: Oh, viola foss’io! O, wäre ich ein Veilchen!, während Goethe nur das Veilchen reden lässt:

Ach, denkt das Veilchen, wär’ ich nur

die schönste Blume der Natur!

Viele andere Beispiele ließen sich aufzählen: das würde aber zu weit führen. Es soll hier nur noch hinzugefügt werden, dass Aurelio Bertola mit besonderer Vorliebe Gessners Idyllen übersetzt hat, obwohl seine Verse oft prosaisch sind, wo Gessners Prosa poetisch wirkt. Jedenfalls kommt ihm das Verdienst zu, als erster Proben deutscher Dichtung seinen Landsleuten nahegebracht zu haben.

Unter seinen Zeitgenossen nennen wir Giampietro Tagliazucchi, der Ewald von Kleists Frühling übertrug, Gianbattista Corniani, der ein Saggio sopra la poesia alemanna verfasste, den Bibliothekar Baldassarre Oltrocchi, der deutsche Gedichte in lateinische Hexameter umdichtete.

Wie in Deutschland, so hat die romantische Bewegung auch in Italien die Übersetzungslust angefeuert. Berühmt ist die für die Romantik tonangebende Schrift des Dichters Giovanni Berchet: Lettera semiseria di Crisostomo al suo figliuolo, die 1816 verfasst wurde, und die Prosaübersetzung von Bürgers Balladen (Berchet nennt sie romanzi), Der wilde Jäger und Leonore enthält. Der Brief war ein Auftakt, war das Zeichen zum Kampf zwischen Klassikern und Romantikern, an dem nach dem Beispiel Deutschlands Vincenzo Monti, Foscolo, Manzoni und Leopardi teilnahmen.

Übersetzungen aus dem Deutschen ins Italienische im 19. Jahrhundert

Es seien hier einige Übersetzungen aus dem 19. Jahrhundert erwähnt, die zur Verbreitung deutscher Dichtung in Italien beigetragen haben. Da ist Andrea Maffei aus dem Ledro-Tal bei Trient, der 1885 fast 90jährig in Mailand starb. Seine Übersetzungen aus dem Deutschen sind zwar besser als die aus dem Englischen, werden aber selten dem Geiste des Originals gerecht. Es gelang ihm wohl manchmal, besonders in der Lyrik, die Schwierigkeiten zu überwinden und den richtigen Ton zu treffen. Was ihm aber als Verdienst angerechnet werden muss, das ist sine Übersetzung von Schillers Dramen, wo mehr als die dramatische Wucht das Lyrische hervortritt.

Seiner Meinung nach sind es vor allem die zahlreichen und unendlich vielen möglichen Wortzusammensetzungen, die dem Übersetzer eine schwere Aufgabe auferlegen. Wenn man auch dem beistimmen mag, so pflichten wir doch seiner Bemerkung nicht bei, es könne sich die italienische Ausdrucksweise nur mit Mühe der deutschen anpassen, »weil sie durch das Beispiel der Jahrhunderte festgelegt sei«! Man soll eben den Mut aufbringen, sie zu erneuern, damit sie den neuen Anforderungen genügen kann.

Maffei übersetzt z.B. den Monolog der Königin Elisabeth im IV. Aufzug von Schillers Maria Stuart wie folgst:

Oh dura schiavitù che mi condanni

a piegar la cervice a quest’abbietta

tirannia popolar! Come son io

stanca di lusingarti, idolo vile,

che nell’occulto del mio cuor disprezzo!

usw.

Den drei fünffüssigen Jamben des Textes entsprechen fünf elfsilbige Verse: ein Zeichen, dass eine Verwässerung stattgefunden hat, und zwar mit den Worten, die man vergeblich im Text suchen würde.

O Sklaverei des Volksdienstes! Schmähliche

Knechtschaft! – Wie bin ich’s müde, diesem Götzen

zu schmeicheln, den mein Innerstes verachtet!

Die Sklaverei wird dura schiavitù, der Götze idolo vile, das Innerste l’occulto del mio cuor; die Worte che mi condanni a piegar la cervice sind glatt erfunden. Das heißt nicht treu und sauber übersetzen.

Ein Dichter, der zahlreiche Übersetzer fand: Heinrich Heine

Ein Dichter, der zahlreiche Übersetzer fand, war dann Heinrich Heine. Viele haben sich mit ihm gemessen, darunter Chiarini, der mit mehreren Liedern, mit Atta Troll und Deutschland hervortrat, und Bernardino Zendrini, der in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts deutsche Literatur und Sprache an der Universität Padua lehrte. Er ist durch seine Polemik mit Carducci wegen der Heine-Übersetzung bekannt geworden. Diese Übersetzung, worüber man wohl auch verschiedener Meinung sein kann, hat jedenfalls die Bekanntschaft mit Heines Lyrik in Italien sehr gefordert. Freilich, Heines Lieder werden oft in verzuckerte Hirtengedichte verwandelt.

Io cammino tra i fiorelli

e fiorisco anch’io con elli.

solche Reime können wir heute nicht hersagen, ohne zu lächeln.

Stellen wir einen Vergleich auf zwischen Zendrini und Carducci, so sehen wir, dass der Letztere himmelweit höher steht:

Mit schwarzen Segeln segelt mein Schiff

wohl über das wilde Meer,

wird von Zendrini so übersetzt:

Varca il mio legno con brune vele

l’irato mar.

Carducci dagegen:

Passa la nave mia con vele nere,

con vele nere pel selvaggio mare.

Carducci hat auch Gedichte von Klopstock, Herder, Uhland und Platen meisterhaft übersetzt.

Vor ein paar Monaten hat Giorgio Calabresi eine vollständige Übersetzung des Romanzeros geliefert, die wirklich lobenswert ist.

Blütezeit der Übertragung deutscher Werke ins Italienische

Überhaupt, je mehr wir uns unserer Zeit nähern, desto gepflegter und häufiger werden die Übersetzungen sowohl der Klassiker als auch der Zeitgenossen.

In der 2. Hälfte des 19. und der ersten des 20. Jahrhunderts erlebten die Übertragungen deutscher Werke eine außerordentliche Blütezeit. Nach und nach wurden alle namhaften Dichter übersetzt, von den alten angefangen: Hildebrandslied und Muspilli, Nibelungenlied und Gudrun, Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbach, Hans Sachs und Grimmelshausen, Klopstock und Lessing, Hamann und Herder, Novalis und Hölderlin, Wackenroder und Zacharias Werner, Tieck, Kleist, Grillparzer, Stifter und Hebbel, Keller und Storm, Otto Ludwig und Hamerling, Heyse und Rosegger, Fontane und Sudermann, Dehmel, Hauptmann, Ricarda Huch, Hofmannsthal, Hesse und Wiechert, Trakl und Kafka usw. Man sieht, viele viele bedeutende Namen der deutschen Literatur sind hier vertreten.

Gesamtausgaben deutscher Schriftsteller

Neuerdings ist die Neigung aufgekommen, von wichtigen Autoren entweder eine Gesamtausgabe oder wenigstens eine reichhaltige Auswahl zu geben. So hat Guido Manacorda sämtliche Dramen Richard Wagners übersetzt und mit gelehrten Erläuterungen versehen. So hat Lavinia Mazzucchetti eine weitgehende Auswahl von Goethes Werken für den Verlag Sansoni, in vier recht ansehnlichen Bänden, veranstaltet und gibt die Übersetzung sämtlicher Werke Thomas Manns bei Mondadori heraus.

Einzelne Werke wurden mehrmals übersetzt, so vor allem Goethes Faust, von dem nach den alten, im ganzen misslungenen Übertragungen von Giovita Scalvini (der den Faust bereits 1835, drei Jahre nach Goethes Tod, herausgab) und von Maffei, nach den neueren, besseren, von Biagi, Persico, Guerrieri, Baseggio und Vellani, die wohldurchdachte, wertvolle, mit ausschöpfender Gelehrsamkeit erläuterte von Manacorda bei Gelegenheit der hundertjährigen Wiederkehr des Todestages 1932 erschienen ist. Ihr folgten kürzlich gleich drei Übersetzungen, von Vincenzo Errante, G.A. Amoretti und Barbara Allason.

Vor kurzem hat man sich sogar an die Dialektdichtungen herangemacht und Jeremias Gotthelfs Uli der Knecht aus der Berner Mundart, Fritz Reuters Ut mine Stromtid aus dem Mecklenburgischen übersetzt.

Heutzutage sind die Verbindungen so rasch geworden, dass man oft gar nicht bis zum Erscheinen eines Buches wartet, sondern gleich aus den Korrekturbogen oder aus dem Manuskript übersetzt, sodass das Werk in zwei oder mehreren Ländern gleichzeitig herauskommt.

Unter den Übersetzern haben sich im vorigen Jahrhundert nach Antonio Zardi, der sich mit zahlreichen Lyrikern gemessen hat, und Casimiro Varese, hervorgetan, der Adams Tod von Klopstock, Clavigo, Stella, Tasso und Egmont von Goethe, Nathan den Weisen von Lessing und anderes mehr übersetzt hat./p>

Zu diesen gesellen sich mit bedeutendem Erfolg in neuerer Zeit, u.a. Lavinia Mazzucchetti, Pisaneschi und Spaini, Enrico Rocca und Aldo Oberdorfer, Vincenzo Errante, der Übersetzer Rilkes und Hölderlins, sowie Rodolfo Paoli und Cristina Baseggio, Leone Traverso und Giorgio Zampa, Bruno Arzeni und Emilio Castellani, wobei ich natürlich bemerken muss, dass ich damit kein vollständiges Verzeichnis aufgestellt zu haben gedenke.

Diese lange Reihe von Namen bezeugt aber, wie rege das Interesse an der deutschen Literatur in der letzten Zeit geworden ist.

Das Übersetzen vom Deutschen ins Italienische in Zahlen ausgedrückt

Das geht auch aus einigen statistischen Daten der letzten Jahre hervor. Im Jahre 1951 wurden z.B. 108 Werke aus dem Deutschen ins Italienische übertragen, d.h. 11,7% der gesamten Übersetzungsproduktion. Damit stand Deutschland an dritter Stelle; denn die Übertragungen aus dem Englischen betrugen 39%, die aus dem Französischen 27%, was eigentlich sonderbar ist, wenn man bedenkt, dass im allgemeinen nicht viel aus dem Französischen übersetzt wird, da die Sprache ziemlich verbreitet ist und von den Italienern mehr oder weniger verstanden wird, sodass französische Bücher gewöhnlich im Original gelesen werden.

Nicht immer sind die meistübersetzten Autoren auch die literarisch hervorragendsten: so wie z.B. in Deutschland im Jahre 1951 die meisten Übersetzungen auf Edgar Wallace, in Frankreich auf Erle Stanley Gardner, also auf große Vertreter des Kriminalromans entfallen, so sehen wir dass es ähnlich auch in Italien zugeht, wo die Delly mit 9, die Brüder Grimm mit 5, Goethe mit 4 Übersetzungen vertreten sind.

Wenn wir weiter zurückgehen, bemerken wir, dass in den Jahren 1946-1952 der Prozentsatz der deutschen Bücher im Vergleich mit der Gesamtproduktion zwischen 12 und 17% schwankt. Davon entfällt ungefähr ⅕ oder noch weniger auf erzählende und überhaupt belletristische, alte oder neue Werke, während sich der übrige Prozentsatz auf wissenschaftliche Literatur bezieht. Übrigens habe ich aus der im verflossenen Frühjahr in Mailand veranstalteten Ausstellung des deutschen Buches den Eindruck gewonnen, dass auch in Deutschland die wissenschaftliche Literatur die Oberhand hat.

Kulturgeschichtliche Bedeutung des Übersetzens

Dass den Übersetzungen eine ungeheure kulturgeschichtliche Bedeutung zukommt, steht außer Frage. Wir haben es an den Bibelübersetzungen gesehen und kennten viele andere Beispiele anführen.

Über einige griechische Denker, deren Schriften verloren gegangen sind, sind wir nur durch Cicero unterrichtet, der ihre Sprüche ins Lateinische übersetzt und in seine glücklicherweise erhaltenen Werke aufgenommen hat. Wären wir je in die Geheimnisse des Zauberlandes Ägypten eingedrungen, wenn Champollion durch die zweisprachige Inschrift von Rosette die Pforten dazu nicht geöffnet hätte? Könnten wir die persische und mesopotamische Kultur so tief erfassen, wenn Grotefend und Rawlison die Keilschrift der mehrsprachigen Felseninschrift von Behistun nicht entziffert hätten?

Die Übersetzung lässt untergegangene Kulturen vor den Augen derjenigen entstehen, welche die toten Sprachen nicht kennen. Die Übersetzung vermittelt Kulturwerte aller Länder und Völker, deren Sprache wir nicht beherrschen. Die Übersetzung ist ein Weg allgemeiner Verständigung zwischen den Nationen, deren jede ihre besonderen, einzigartigen, schätzenswerten Merkmal besitzt.

Zum Schluss sei hier an die schönen Worte Gottfried Herders erinnert, der gegen den Nationalwahn und die Zwietracht der Völker ankämpft: »Die Natur – sagt er – hat ihre Gaben verschieden ausgeteilt: auf unterschiedlichen Stämmen, nach Klima und Pflege, wachsen verschiedene Früchte. Wer vergliche diese miteinander oder erkennete einem Holzapfel vor der Traube den Preis zu?… Vielmehr wollen wir uns freuen, dass auf der bunten Wiese des Erdbodens es so mancherlei Blumen und Völker gibt, dass diesseits und jenseits der Alpen so verschiedene Blüten blühn, so mancherlei Früchte reifen!«